Christival 2008

Die „Messe der Meister von Morgen“

Zwischen Lifestyle und Mission

Christival BannerEvangelikale Christen erhoffen sich, dereinst – nach Vollendung des göttlichen Heilsplans – zum ausgewählten Kreis derer zu gehören, die das „himmlische Jerusalem“ bevölkern. Und so mag es kein Zufall sein, dass einer der zentralen Orte der Selbstpräsentation auf dem Christival, die „Messe Missionarischer Möglichkeiten“ (MMM), in Initialien und Gestaltung deutlich an den bekannten Wettbewerb der FDJ, die „Messe der Meister von Morgen“ erinnerte. Doch unabhängig davon, ob – angesichts der zweifellos vorhandenen Neigung der Veranstalter und Besucher des Christivals, sich Symbole der säkularen Welt anzueignen, mit ihnen zu spielen und sie umzuformen – dem Autor dieser Zeilen die Fantasie durchgegangen oder diese Assoziation tatsächlich gewollt war, bot die in der Halle 5 des Bremer Messezentrums untergebrachte MMM einen guten Überblick über Trends und Akteure der evangelikalen Bewegung in Deutschland.

Logo MMMDie Mission, das Werben für das eigene Modell des Christentums, gehört im Selbstverständnis evangelikaler Christen zu den zentralen religiösen Verpflichtungen. Dabei bedeutet Mission keineswegs nur, diese Ideen in die Welt außerhalb eines sich selbst als christlich geprägt verstehenden Europas zu tragen. Für Evangelikale sind nicht-evangelikale Christen oft nur „Namens-Christen“ und so ist die Mission in den eigenen Ursprungsgesellschaften traditionell ein zentrales Feld der Arbeit der evangelikalen Bewegung seit ihren frühen Anfängen. Sie entstand in Reaktion auf die Säkularisierungsprozesse im Europa der Aufklärung sowie als Antwort auf die soziale Frage. Doch gerade in dieser Form der Mission scheint in der evangelikalen Bewegung eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden zu haben.

Während soziale Einrichtungen, wie etwa das Diakonische Werk – die in dieser Tradition der evangelikalen Bewegung entstanden sind und sich ihr zum Teil auch weiterhin verbunden fühlen – auf der MMM fehlten, präsentierten sich vor allem religiöse Serviceanbieter sowie Einrichtungen und Initiativen, die sich der individuellen Lebenshilfe widmen. So fanden sich hier CDs zum Thema des Umgangs mit Geld aus biblischer Sicht ebenso wie Therapieanbieter, die – offenbar Anregungen aus der Esoterikszene aufnehmend – für Konzepte mit biblischem Hintergrund warben, evangelikale Fernsehkanäle sowie Lifestyle-Ausstatter.

Transformierende TheologieEin Teil der vertretenen Bildungsstätten präsentierte sich in eher traditionellem Gewand, wohingegen die Globalisierung bei vielen Einrichtungen nicht nur hinsichtlich der Gestaltung des Werbematerials deutliche Spuren hinterließ. Das bisherige Manko der evangelikalen theologischen Bildungseinrichtungen, keine staatlich anerkannten Abschlüsse bieten zu können, wird seit einiger Zeit im Rahmen internationaler Kooperationen ausgeglichen. So ist es etwa dank einer Zusammenarbeit mit der Universität von Gloucestershire mittlerweile möglich, an der „Freien Theologischen Akademie“ in Gießen einen britischen M.A. zu erwerben.

Wer nach dem vom Leiter des Christivals, Roland Werner, und anderen formulierten Anspruch, als Evangelikale die Welt außerhalb der eigenen Bewegung nicht nur stärker ins Blickfeld, sondern auch auf ihre Gestaltung Einfluss zu nehmen, erwartet hatte, hier politische Stellungnahmen oder soziales Engagement vorgestellt zu bekommen, sah sich getäuscht. Auch die auf der MMM stark vertretenenGebetsbriefkasten evangelikalen Schüler- und Studentengruppen – die von Werner repräsentierte Strömung entstand in diesem Milieu – nannten als wesentlichen Gegenstand der gemeinsamen Arbeit keineswegs primär studentische Anliegen, sondern das gemeinsame Gebet. Allerdings versteht in diesem Zusammenhang auch zum Beispiel Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, das Gebet durchaus als ersten und wichtigsten Schritt gesellschaftlichen Engagements. In mehreren Aufsätzen nennt er als weitere Schritte die Einwirkung auf öffentliche Meinung und Medien sowie das persönliche Engagement in politischen und gesellschaftlichen Institutionen. [1] In welchem Umfang die evangelikale Bewegung tatsächlich erfolgreich diesen Weg beschreiten wird, bleibt abzuwarten.

BibelübersetzungNoch zahlreicher als die Initiativen zur Mission im Inland waren auf der MMM die Stände zur Mission außerhalb Europas. Im Verständnis vieler evangelikaler Christen ist es eine notwendige Bedingung für den Fortgang des göttlichen Heilplans, dass die Bibel jedem Volk der Welt in der eigenen Sprache zugänglich gemacht wird und damit zum einen jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich für oder gegen Gott zu entscheiden und zum anderen sich das biblische Wort erfüllt, dass Menschen aus allen Völkern Gott anbeten. Tatsächlich gipfelt diese Vorstellung geradezu in einem Wettrennen um bislang nur marginal von der westlichen Zivilisation berührte Ethnien, deren Sprachen zum Teil erst von den evangelikalen Missionaren in eine Schriftform gebracht werden, um so die Voraussetzungen für eine Bibelübersetzung zu schaffen. Dabei sind die Erfolge der Missionsbemühungen durchaus unterschiedlich: während etwa trotz Jahrzehnte langer Arbeit unterFlyer von frontiers (Ausschnitt) den Paschtunen (Afghanistan und Pakistan) und den Afar (Somalia, Dschibuti und Eritrea) nur wenige Menschen zum Christentum konvertiert sind, konnten evangelikale Gemeinschaften z.B. in Algerien – schon seit dem 19. Jahrhundert gleichfalls ein Missionsgebiet – in den letzten Jahren ein starkes Wachstum verbuchen.

Protestantische Gemeinde in AlgerienDas „10/40-Fenster“, die Region zwischen dem 10. und dem 40. nördlichen Breitengrad, steht als größte Herausforderung im Fokus evangelikaler Missionsbemühungen. Hier leben nicht nur zwei Drittel der Weltbevölkerung und 80% der Ärmsten der Welt, sondern auch die meisten Menschen, die keine Christen sind. Auch wenn im Olympiajahr 2008 ein Stand zur – überaus dynamischen – Mission in China nicht fehlen durfte, widmeten sich die meisten Stände dem Thema der Mission in den islamischen Staaten und in Israel. Dabei kommt Israel in den Endzeiterwartungen eine zentrale Rolle zu. Nach dispensationalistischer Lesart der Bibel ist der Abschluss des göttlichen Heilsplans erst dann zu erwarten, wenn das Volk der Juden im Heiligen Land seinen Staat errichtetDVD Judenmission und anschließend in Jesus seinen Messias erkannt hat. [2] Während in den meisten evangelischen Landeskirchen vor dem Hintergrund des Holocausts die Judenmission weitgehend diskreditiert ist, halten viele Evangelikale weiterhin an ihr fest. Ein religionsgeschichtlich durchaus originelles Ergebnis dieser Bemühungen ist dabei das messianische Judentum, eine Gruppe von Gläubigen, die trotz ihrer Anerkennung Jesu (Joshua) als Sohn Gottes sich weiterhin als Teil des Judentums versteht und an jüdischen Ritualen festhält.

Die allgemeine Haltung gegenüber dem Islam war auf dem Christival durchaus differenziert. Tatsächlich wird von vielen evangelikalen Christen der Islam zunächst als Konkurrent um die heiligen Stätten und bedeutendster Gegner des Christentums wahrgenommen.Burka-Test Das Angebot auf der MMM, eine Burka anzuziehen, um die Welt mit den Augen einer Muslima sehen zu können, knüpfte hingegen eher an aufgeklärte Stereotypen an. [3] Aber ebenso äußerten sich Stimmen, die Gemeinsamkeiten mit Muslimen, wie ihre bekennende Religiosität in der Öffentlichkeit, die Hochachtung vor Jesus und Kritik an säkularen Verhältnissen in den Vordergrund stellten.

So sei es schon „schwer, mit Muslimen nicht über den Glauben ins Gespräch zu kommen“, ermunterte Stefan Bösner vom Marburger „Christus-Treff“ – der selbst eine siebenjährige Erfahrung im Sudan vorweisen konnte – eine Gruppe junger potenzieller Missionare im Christival-Seminar „Herausforderung Islam – Verstehen einer anderen Kultur und Religion“. Sein Koreferent Dick Brogden – eben eingetroffen vom Einsatz in Darfur – ergänzte, zum typischen Profil eines christlichen Missionars gehöre es, täglich 18 Stunden von einer Verabredung mit Kandidaten für die Gruppe der MBB (Muslim Background Believers) zur nächsten unterwegs zu sein. Die Überzeugungsarbeit ist geprägt durch klassischen evangelikalen Pragmatismus – wichtiger als „dogmatische Argumente“ sei allemal der „Beziehungsaspekt zu Jesus“ (Bösner). Und schließlich schätzen diese Insider auch ihre Gefährdungslage in der islamischen Welt, anders als die meisten westlichen Medien, recht realistisch ein: Natürlich gäbe es Probleme und in vielen Ländern müsse man immer wieder mit einer Ausweisung rechnen. Aber in den letzten Jahren seien lediglich fünf Missionare im Einsatz für den Glauben umgekommen. Dies sei im Verhältnis doch ein recht geringes Risiko für den einzelnen.

Job SudanAuch die Hochachtung vor Muslimen führt keineswegs zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit islamischer Geschichte und Kultur; sie dient letztlich als eine weitere Begründung für die Notwendigkeit der Mission, die – ob als langjähriger Einsatz, als Praktikum oder auch als Ferienmaßnahme – in vielfältigster Form praktiziert wird. Da wo es möglich ist, offen, da wo es die Gesetzte des Gastlandes untersagen, im Rahmen von Entwicklungsprojekten (z.B. in kleinen Krankenhäusern oder Sprachschulen) und in verdeckter Form. Vor allem junge Menschen sind in diesem Bereich aktiv, gehört es doch mittlerweile zum „guten Ton“ in der evangelikalen Szene, im Lebenslauf wenigstens einen Auslandseinsatz vorweisen zu können. Hierfür bietet das Netzwerk der evangelikalen Bewegung angesichts der differenzierten Ansprüche, Neigungen und Möglichkeiten ihrer Anhänger diverse Angebote mit Blick auf das eine gemeinsame Ziel, teilzuhaben am Heilsplan des Herrn, dem Aufbau des Reiches Gottes.

[1] Hartmut Steeb: Faul und feige: Thesen über den geistlichen Zustand Deutschlands. In: The Race. Jg. 5, Heft 3 (November 2007), 32–35, 33–34. Vgl. auch Peter Wensierski: Aufschwung Jesu. In: Der Spiegel, Heft 18, 28. April 2008, 38–41, 38.

[2] Für einen aktuellen Beitrag zum 60-jährigen Bestehen Israels, der diese Sichtweise vertritt, vgl. Jacob Thiessen: Gott will auch Israel Frieden bringen. Idea Nachrichtendienst 13.05.2008.

[3] Vgl. auch: Dennis beim Christival. NDR Extra 3, 07.05.2008.

Hinzugefügt am 18. Mai 2008 | Frank; Bilder: Tilman