Publikationen

Johann Smidt und die „Barbareskenstaaten“ (1814–1820)

Frank Eisermann
Arbeiterbewegung und Sozialgeschichte 19 (2007), 5–34

Bombardment of Algiers by Lord ExmouthIn den Jahren unmittelbar nach dem Sturz Napoleons, zwischen 1814 und 1820, forderten zahlreiche Stimmen in Europa die Bildung eines kollektiven, gegen die „Barbareskenstaaten“ – so nannte man im zeitgenössischen Europa die neuzeitlichen Staaten des Maghreb – gerichteten Sicherheitssystems bzw. die Errichtung einer gesamteuropäischen Kolonie an der Küste Algeriens. Während auf der europäischen Ebene diese Forderungen vor allem durch nichtstaatliche Netzwerke, wie den Chevaliers Libérateurs des Esclaves Blancs en Afrique (Ritter zur Befreiung der weißen Sklaven in Afrika), eine Kampagne modernen Zuschnitts entfaltete, stand in Deutschland der Bremer Senat, allen voran sein damaliger Senator und späterer Bürgermeister Johann Smidt an der Spitze der Bewegung. Der Anteil Smidts und des bremischen Senates an der europäischen Kampagne, ihre Hintergründe und Abläufe aus bremischer Perspektive sind der Gegenstand des Aufsatzes von Frank Eisermann.

Allerdings begreift die europäische Historiographie fast einhellig die „Barbareskenstaaten“ vor allem als Ausgangspunkte der Piraterie, gerichtet gegen die friedliche europäische Handelsschifffahrt, mehr noch, als Orte der Versklavung europäischer Seeleute und reproduziert damit die Diabolisierung dieser Staaten durch die Kampagne als „Raub- und Piratenstaaten“. Dagegen erklärt Eisermann die Motive der Kampagne gegen die „Barbareskenstaaten“ aus der politischen Konstellation der europäischen Nachkriegszeit. Er beschreibt die europäische „Barbareskenkampagne“ als den Versuch eines relevanten Teils der europäischen Eliten, dem Anspruch Großbritanniens auf die Herrschaft über die Weltmeere – und nicht zuletzt damit verbunden dem Zugang zu den Reichtümern der außereuropäischen Welt – das Projekt eines gemeinsamen europäischen Kolonialismus auf der Grundlage eines geeinten Europas entgegen zu stellen. Darüber hinaus versteht er die mit der„Barbareskenkampagne“ in Deutschland verbundenen Forderungen des Bremer Senates nach einer deutschen Flotte und einer gemeinsamen Außenpolitik des Deutschen Bundes als ein Instrument der Mobilisierung für die Bildung eines deutschen Nationalstaates, der an den besonderen Interessen des in der Hansestadt herrschenden Handelsbürgertums orientiert ist.

Hinzugefügt am 16. März 2008 | Frank